Deutsch zum Anfassen: Wald auf Rädern zu Gast am AMG
Es ist noch dämmrig, als Josef Thiemann am 30.10.2024 um 7.30 Uhr mit seinem PKW auf den Schulhof des Albertus-Magnus-Gymnasiums in Beckum fährt. Der 65-Jährige ehemalige Lehrer aus Everswinkel ist Jäger und für die Koordination der „Rollenden Waldschule“ der Kreisjägerschaft Warendorf zuständig.
Er kommt heute auf Einladung von Vera Hoffmann, ebenfalls pensionierte Lehrerin, die seit 2022 am AMG im Team mit Anne Ebert und Lea Heinrich die Deutschförderung für geflüchtete Kinder und Jugendliche durchführt. Sie ist von der Bezirksregierung angestellte Mitarbeiterin im Aufgabenfeld Bildung durch Integration für Geflüchtete.
Derzeit nehmen 10 Schülerinnen und Schüler aus 7 verschiedenen Nationen an dieser Fördermaßnahme teil. Sie haben während eines Zeitraums von 2 Jahren bereits so viel Deutsch gelernt, dass einige von ihnen dem Bildungsgang Gymnasium zugeordnet werden konnten. „Als sie vor 2 Jahren zu uns in den Unterricht kamen, konnten sie kein einziges Wort Deutsch verstehen oder sprechen. Ihre positive Entwicklung macht mich unendlich stolz“, betont Hoffmann. Ihrer Auffassung nach sollte der Sprachunterricht möglichst anschaulich und lebensnah sein. Daher hat die Lerngruppe zum Unterrichtsthema „Lebensraum Wald“ schon im Vorfeld fleißig Informationen zu Wildtieren und Waldbäumen recherchiert, Steckbriefe erstellt, Blätter und Pflanzenteile gesammelt und katalogisiert. Die fortgeschrittenen Jugendlichen haben eigene Texte zum Ökologiesystem Wald verfasst. Den krönenden Abschluss ihres Projekts soll an diesem Mittwoch die „Rollende Waldschule“ bilden.
Herr Thiemann lässt die Schülerinnen und Schüler ca. 50 Exponate ins Klassenzimmer tragen, darunter ein Reh mit Kitz, einen Rotfuchs, einen Dachs, eine Marderfamilie sowie viele Vogelarten. Diese Tiere wurden vor ihrer Präparierung entweder geschossen, tot aufgefunden oder fielen Unfällen zum Opfer. Gebannt hört die Lerngruppe Herrn Thiemann zu, der ihnen Informationen über die Eigenschaften der Tiere und ihre Lebensweisen gibt. Er hat auch die herzergreifende Geschichte des Rehkitzes parat, das von seiner Mutter nicht mehr angenommen wurde, nachdem es von einem Menschen angefasst oder einem Hund beschnuppert worden war. Es ist elendig verhungert. Interessiert stellen die Schülerinnen und Schüler Fragen und berichten von eigenem Vorwissen oder Erfahrungen. Sprachbarrieren spielen keine Rolle, sie haben sie in ihrem Eifer hinter sich gelassen.
Vollends begeistert sind die Kinder, dass sie alle Tiere anfassen dürfen. Diese Erfahrung werden sie sicherlich in bester Erinnerung behalten; denn wer hat schon mal einen Waschbären gestreichelt oder ist einem Bussard über das Gefieder gestrichen? Sie nehmen die Präparate auf ihren Schoß und möchten sie am liebsten nicht mehr hergeben. Sie tauschen sich aus, wie weich oder kratzig das Fell des jeweiligen Tieres ist und sind erstaunt darüber, wie zart die Brustfedern eines Habichts sind. Deutsch zum Anfassen…
4 Schulstunden sind wie im Flug vergangen, Langeweile ein Fremdwort. Gern möchte die Lerngruppe am nächsten Tag mit Herrn Thiemann und seinen Tieren weiterarbeiten. Leider muss sie von ihm Abschied nehmen, allerdings nicht ohne sein Versprechen möglichst bald wiederzukommen.